Was bringt ein Austauschjahr?
Was bringt so ein Austauschjahr ist eine ewige Frage. Das ist meine endgültige Abrechnung mit ihr.
Seit Jahren beschäftigt mich die Frage, was bringt so ein Austauschjahr. Nun ist es nicht gerade so, als ob es mich großartig interessieren würde, nein. Die Leute in meiner Umgebung aber schon. Da wäre zum Beispiel meine Mutter, die zum einen meine Rastlosigkeit bemängelt, mit der ich dem immer mal wieder neu ausbrechenden Fernweh nachgebe. Zum anderen, und das war der weitaus kritischere Teil unserer Beziehung, waren die vielen kleinen Angewohnheiten, die ich aus dem Austauschjahr mitgebracht habe. Als Kardinalssymptom der Veränderung gelten da offenstehende Türen. Der Besuch an der Haustür muss ja nicht unbedingt freien Blick bis ins unbesetzte(!) Bad haben.
Man darf also anhand meines Einzelfalles davon ausgehen, dass sich ein Austauschschüler nach einem Austauschjahr in einigen Dingen unkorrekter verhält als vorher.
Hier ist unbedingt auch das Grüßen als Beispiel zu nehmen. Es war doch zu schön, im Jahr meiner Rückkehr das „Auf Wiedersehen!“ von der grummeleigen Verkäuferin im Konsum durch ein, mir liebgewordenes, „Einen schönen Tag noch!“ zu ergänzen. Nun, 1992 war ich in meinem Supermarkt der einzige mit dieser Vorliebe. Aber die Verkäuferin konnte danach zumeist auch lächeln und der Kunde hinter uns bekam dann auch gleich noch was davon ab. Nur meiner Mutter war es peinlich und schubste mich von hinten nach draußen. Inzwischen müssen in unserem Konsum viele Austauschschüler eingekauft haben, denn einen schönen Tag wünschen sich jetzt viele. Man darf hoffen, dass wir bald mehr Austauschschülerinnen nach Argentinien schicken, denn da darf man den Frauen einen richtigen Kuss auf die Wange geben, nicht nur angetäuscht, wie man vielleicht denkt.
Das ist auch das Stichwort. Nicht nur anders verhalten habe ich mich, sondern auch anders gedacht. Oft auch mal anders, als die Menschen in meiner Umgebung.
Am Anfang nur ausländisch. Kurz nach meiner Ankunft am Flughafen konnte ich zum Beispiel noch genau zwei Worte aus meinem ansonst umfangreichen deutschen Sprachwortschatz abrufen. Zum Glück haben ‚o.k.’ und ‚Hallo’ für eine Begrüßung und einfache Zustimmungsäußerungen ausgereicht. Auch habe ich öfters dran gedacht, meinen Familienmitgliedern mal zu sagen, dass ich sie ganz gern hab. Als mich meine Schwester dann zum Fachmann schicken wollte, habe ich es aber beim Denken belassen. Heute, nach Jahren, lässt sie mir meinen Tick manchmal durchgehen.
Und noch ein Beispiel. Manchmal denke ich, dass es für die Umwelt schlecht, egoistisch und furchtbar unökonomisch ist, ein die meiste Zeit nur rumstehendes Auto zu besitzen. Manchmal denke ich, dass es besser wäre, den fair gehandelten Kaffee zu kaufen. Manchmal denke ich, dass es besser wäre, anstelle jeder zweiten Kinokarte einem Kind in Angola sein Essen zu bezahlen. Und manchmal denke ich, dass man, anstelle über Einwanderungsbedarf, quoten und –schutz mitzudiskutieren, zum Beispiel mal nach Äthiopien müsste, um zu schauen, warum Menschen ihre liebgewordene Heimat verlassen wollen.
Das kann aber nicht Ziel eines Austauschjahres sein, denn dann müsste sich mehr ändern als mein Denken und meine kleinen Gewohnheiten. Und wer will das schon. Zumindest kein ehemaliger Austauschschüler dem es gut geht und dem sich nach einem Austauschjahr ganz andere Möglichkeiten auftun.
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