Ehrenamt im Austausch - Teacher Assistant in Tampa

Austauschschüler sein, das heißt, am Leben seiner neuen Umgebung teilnehmen und sich einbringen. Katharina, Preisträgerin des Jugendförderpreises der Körber Stiftung (USAble) hat dies getan.

Tampa, Florida um sieben Uhr morgens. Aufstehen! Ein schnelles Frühstück und auf geht’s zum Unterricht, wo zwölf wissbegierige 8-jährige mich erwarten. Alles erscheint wie gewöhnlich. Doch wenn man die Situation genauer beleuchtet, fallen einige Unterschiede zum normalen Schulalltag auf. Erstens ist es Sonntag, und außer mir und meinem Gastvater scheint noch alles fest zu schlafen. Zudem ist die Schule keine gewöhnliche Schule, sondern eine jüdische Tempelschule. Und schließlich bin ich keine amerikanische Lehrerin, sondern deutsche Austauschschülerin. Was also macht ein 17-jähriges Mädchen, christlich erzogen, an einer Schule, in der Dinge gelehrt werden, von denen es höchstens einmal im Religionsunterricht in Deutschland gehört hat? – Richtig, sich ehrenamtlich betätigen.

Die Synagoge Schaarai Zedek hat etwa 1000 Mitglieder und liegt im Süden Tampas. Wie es die Tradition des Judentums will, werden auch hier jüdische Kinder vom Kleinkindalter an mit Brauchtum und Sprache des Judentums vertraut gemacht, bis sie schließlich mit 14 Jahren ihre Bar oder Bat Mitzvah feiern. Jeden Sonntag um acht werden die Kinder von ihren Eltern zum wöchentlichen Unterricht abgesetzt und bis mittags der Obhut ihrer Lehrer und Lehrerinnen überlassen. Dass ein Haufen aufgeregter, fröhlicher und wilder jüdischer Kinder nicht leichter zu hüten ist als ein Haufen ebensolcher christlicher Kinder, ist verständlich. Und da nach zwei Stunden die Konzentration der „Kleinen“ nicht mehr ausreicht, wird in der Sunday School im Schichtsystem gearbeitet: Nach zwei Stunden verlassen alle Kinder die Schule und neue kommen. Doch auch die LehrerInnen haben nicht unbegrenzt Kraft, ihre Schützlinge zu umsorgen.

Die Gemeinde von Schaarai Zedek griff also zu einer nahliegenden und praktischen Lösung: Teacher Assistants, kurz: TAs. Jeweils einer dieser größtenteils jugendlichen Volunteers hilft in einer Klasse aus. Dass keiner älter als 18 sind, macht nichts, denn sie alle haben selbst schon die Sunday School bis zur 9. Klasse durchlaufen und verfügen über genügend Erfahrung, Kenntnis des Hebräischen und Durchsetzungsvermögen.

Erste Schicht. Miss Cohn kommt in den kleinen Raum „Shin“, der mit bunten Bildern behangen ist, und hängt mir ein Regenbogenschild um, auf dem mein Name steht: Miss Cathy. Die Kinder, die schon kreischend, lachend und laut erzählend auf winzigen Stühlen sitzen und sich gegenseitig ihre Pokemonkarten und Beany-Babies zeigen, bekommen auch welche. Mark, Spencer, Alison, Susan, David… Miss Cohn muss jetzt auch Gebrauch von ihrem Stimmorgan machen. Dass eine so kleine Frau derart laut “Quiet please!” rufen kann, ohne aber streng zu klingen, kann man nicht recht vorstellen. Und nun beginnt meine Arbeit: Liedtexte austeilen, Fragen beantworten, Scheren einsammeln, das Aleph-Beth abprüfen, jemanden zur Toilette begleiten, das zopfförmige Ei-Brot, Challah, schneiden, Alison trösten und Mark zurechtweisen, Arbeitsblätter mit Aufklebern versehen, einen Segen mitsprechen...“Baruch ata adonai eloheinu...“, zirpen die zarten Stimmen andächtig. „Habt ihr alle eure Hausaufgaben gemacht? Dann lernen wir heute einen neuen Buchstaben kennen. Finger hoch, wer ein Wort kennt, das mit Aleph anfängt!“ Was einfach klingt, kann zuweilen sehr anstrengend sein, zumal weder mein Körper noch mein Geist eigentlich sonntags so früh arbeiten können. Und doch macht es Spaß. Denn der muss immer dabei sein, will man volunteer sein.

Allerdings ist die Frage, was einen jungen Menschen jede Woche frühmorgens in die Synagoge treibt, um dort ohne Entgeld einen Sack Flöhe zu hüten, damit noch nicht beantwortet. In der Tat ist eine Eingrenzung der Gründe nicht ganz leicht. Und auf eine einzige Ursache lässt sich die Begeisterung von immer mehr Jugendlichen für das Ehrenamt nicht zurückführen. Zunächst gibt es sicherlich viele oberflächliche Beweggründe. Die Highschools in Hillsborough County, in welchem Tampa liegt, verlangen es von ihren Seniors, den SchülerInnen des Abschlussjahrgangs, mindestens 20 Stunden community service zu leisten. Können sie keine Belege vorlegen, gibt es auch kein diploma. Um in die National Honor Society (NHS), ein Club für besonders herausragende SchülerInnen amerikanischer Highschools, aufgenommen zu werden, muss man sich dazu bereit erklären, innerhalb des Clubs sozial engagiert zu sein und an volunteer-Projekten teilzunehmen. Auch Colleges in den USA schauen sich gern an, was Bewerber neben der Schule machen. Glänzen kann, wer in Guatemala Häuser anstreicht, für kleine Kinder Spielzeug bastelt und an Obdachlose Sandwiches verteilt. Für AustauschschülerInnen wie mich gibt es andere Anreize, seine ohnehin knappbemessene Freizeit gemeinnütziger Arbeit zu widmen: Austauschorganisationen legen immer mehr Wert auf soziales Engagement. Schließlich gehört es zum American way of life, den die SchülerInnen ja möglichst mit allen Facetten erleben sollen, sich für andere einzusetzen, sei es in der Gemeinde, in der Schule oder in anderer Umgebung. Partnership International (PI) und AYUSA spendieren für die Exchange students mit den meisten Stunden ein Wochenende in San Francisco.

Doch zum Glück kommt es nicht nur auf den Zwang von außen an. Was für eine interessante Erfahrung die freiwillige Arbeit für andere und mit anderen sein kann, merkt jeder, der es einmal ausprobiert. Und wenn Einige sich auch engagieren, um anschließend ein reines Gewissen zu haben, so ist es doch viel verbreiteter, es aus reinem Spaß an der Freude zu tun. Für ein paar Stunden nicht an sich selbst zu denken, kann ganz andere Perspektiven ermöglichen. Das Lächeln desjenigen, dem man geholfen hat, allein genügt, um alle Mühen vergessen zu machen.

Inzwischen ist es zehn Uhr im Haus von Schaarai Zedek. Es klingelt, die Kleinen stürmen aus dem Raum. „Bye, Miss Cathy!” rufen sie artig; eins will am liebsten hier bleiben. Neue Kinder kommen, und ich kann mich zu einer kurzen Kaffeepause mit den anderen TAs treffen. Einige Kekse als Stärkung können wir alle gebrauchen. Aaron, der so alt ist wie ich, erzählt, dass er heute mit einem besonders guten Schüler einige hebräische Lieder einstudiert hat. Kristin bereitet mit der dritten Klasse eine Sabbat-Feier vor. Die Kinder malen Plakate und denken sich selbst ein Gebet aus. Dass ich weder Amerikanerin noch Jüdin bin, ist hier unwichtig. Jeder, der sich einsetzt und Spaß an dem hat, was er tut, ist willkommen. Und Spaß macht es wirklich. Hier entstehen Freundschaften. Nächste Woche findet das nächste Treffen der TAs statt. Wir wollen an den Strand fahren. Der Lerneffekt ist beträchtlich. Nicht genug, dass ich lerne, mit Kindern umzugehen und meine didaktischen Fähigkeiten auszubauen. Hinzu kommen erstmalig erlebte Chanukkah-, Yom Kippur- und natürlich Sabbat-Feiern, verkleidete Kinder mit Rasseln an Purim, traditionelle Pessach-Mahlzeiten, Lieder wie „Tree of Life“ und „Shalom Chaverim“, einige Worte auf Hebräisch... Auch etwas Diplomatie ist von mir gefordert. Wie antwortet man am besten auf die unschuldige Frage von Spencer: „Miss Cathy, stimmt es, dass die Deutschen die Juden nicht mögen?“ Ich erkläre, was Karneval ist, warum Christen Weihnachten feiern, bringe deutsche Milka mit und zeige Fotos von meiner Stadt. Und lasse mir von einem 8-jährigen Dreikäsehoch erklären, wie man Gefilte fish macht und wieso der Leuchter zu Chanukkah einen Arm mehr hat.

Wenn volunteering nicht einseitig ist, sondern auf Gegenseitigkeit beruht, macht es am meisten Spaß. Ich jedenfalls will die Kleinen gar nicht mehr weglassen. Nur manchmal, wenn das Klingeln des Weckers mich sonntags hochfahren lässt, wünsche ich mir, etwas egoistischer zu sein.

Katharina