Wie mich kein Schutzhelm zum Gesetzesbrecher machte

Fahrrad fahren hat seine Risiken. So hier in Kalifornien, wo das Gesetz ein Wörtchen mitfährt.

Während meines Aufenthaltes in Anaheim (California, USA) wurde das Fahrrad zu meinem Hauptfortbewegungsmittel. So nutzte ich es auch jeden Tag auf meinem Schulweg.

Eines Tages im Oktober 1996, genaugenommen am 15.10., als ich mich wieder einmal auf dem Nachhauseweg befand, wurde ich plötzlich direkt vor der Schule von einem Polizisten angehalten. Unwissend, um was es sich handeln könnte, wurde ich von ihm gefragt, wo mein Fahrradhelm sei. Meine dumme Antwort lautete so ungefähr, „Welcher Fahrradhelm ?“. Natürlich versuchte ich in meiner Naivität, mich mit diesem Polizisten schlau in Englisch zu unterhalten. Etwas später überlegte ich mir, daß ich mit ein bißchen Deutsch schneller aus der Misere gewesen wäre. Denn die Wahrscheinlichkeit, daß der Polizist mich dann verstanden hätte, ist äußerst gering.

Wie er mir mitteilte, besteht in Staate Kalifornien für alle Radfahrer unter achtzehn Jahren Helmpflicht (ich war gerade einmal 16). Dann versuchte ich ihm klarzumachen, daß ich ein deutscher Austauschschüler bin, und mir über derartige Bestimmungen nicht kenne. Ich hatte tatsächlich nie zuvor ein Wort darüber gehört. Trotz aller meiner Diskussionen verpaßte er mir einen Strafzettel und kündigte an, daß ich weitere Informationen vom Orange County Verkehrsgericht zugeschickt bekommen würde. Zusätzlich sollte ich mich bis 18.11. dort persönlich melden.

Dieser Tag war erst einmal für mich gelaufen. Auf dem weiterem Weg nach Hause erhoffte ich mir insgeheim, daß meine Gastbruder Doug ebenfalls einen derartigen Strafzettel erhalten hat. Dies hätte sicher meine Sache gegenüber der Gastfamilie einfacher gemacht. „Leider“ hatte er aber keinen bekommen. Meine Gasteltern waren nicht sonderlich erfreut über diesen Vorfall. Aber immerhin meinten sie, daß wir hier gemeinsam durch müßten. Als nächstes wurde sowohl für Doug als auch für mich ein Fahrradhelm erworben. Selbst wenn ich es nur ungern tat, trug ich diesen Helm fortan immer.

Die nächsten vier Wochen lebte ich in voller Ruhe vor der Polizei oder ähnlichen Behörden. Dann am Samstag, dem 16. November bekam ich Post vom Verkehrsgericht. Darin lag die „erfreuliche“ Botschaft, daß ich für diesen Inzident 77 Dollar berappen sollte. Das waren zu diesem Zeitpunkt ungefähr 125 DM. Dies erschien mir unverhältnismäßig hoch. Zudem hatte ich das Problem, wie ich dieses Geld bzw. Scheck, wenn ich die Strafe schon bezahlen wollte, bis zum Montag dorthin kriegen sollte.

Also reifte in mir der Entschluß, an diesem Montag zum Gericht zu gehen und gegen den Bescheid zu Berufung einzulegen. Gesagt, getan, folgte der Gang vor den Richter. Dort vor dem Gerichtshof war (frühmorgens um 8 Uhr) eine riesenlange Schlange, und ehe mein Fall dran kam, vergingen schon einmal knappe 3 Stunden. Dann kam die Ernüchterung. Denn ich allein als Minderjähriger konnte dort nichts vollbringen, dazu brauche ich schon den Rechtsbeistand von meinem Vater oder meiner Mutter. Aber dies befanden sich ja in Deutschland ...

Ohne etwas vollbracht zu haben wurde ich nach Hause geschickt, und für zwei Wochen zurück bestellt. Zusammen mit meinen Gasteltern befand ich, daß diese wohl meinen leiblichen Eltern am „nähesten“ kamen. Vierzehn Tage später zu abendlicher Stunde folgte ein erneuter Gang zu selben Stelle. Mein Gastvater Ron war mitgekommen. Nachdem mich der Richter kurz gemustert und ich meinen Helm vorgezeigt hatte, kam die Frage, ob ich den Helm denn jetzt auch immer trage. Selbstverständlich kam daraufhin ein ‘yes’ von meiner Seite, und wenige Sekunden später hörte ich das Wort, das ich hören wollte, ‘dismissed’ (aufgehoben).

Aus der ganzen Geschichte kam ich mit ein „bißchen“ Aufregung heraus, ohne einem müden Cent zu bezahlen. Und darüber hinaus lernte ich – selbst wenn’s auf eine unliebsame Art und Weise war – das amerikanische Justiz- und Gerichtswesen kennen.

Obwohl ich ungeschoren davongekommen war, hütete ich mich fortan, mich mit Fahrrad noch einmal ohne Helm auf einer Straße blicken zu lassen. Denn das nächste Mal könnte die Sache eventuell ganz anders ausgehen... Und das wollte ich wirklich nicht erleben !