Abschied

Hallo,

meine Tochter wird in gut 30 Stunden für 10 Monate nach Canada aufbrechen. Ich habe nun schon viel gelesen, die gleiches hinter sich haben und mir Trost erhofft. Meine Tochter ist erst 14, aber für mich würde es keinen Unterschied machen, wenn sie ein oder 2 Jahre älter wäre. Ich habe ihren Traum immer unterstütz, sie in Momenten des Zweifelns bestärkt. Irgendwann kam dann bei mir die Angst. Die Vorstellung…jetzt sind es nur noch 4 Monate, bis sie geht…immer öfter bekam ich diese Panikattacken, nachts, beim Autofahren, bei gemeinsamen Unternehmung. Da war dieses schreckliche Gefühl im Magen, die Vorstellung des Momentes, wenn sie durch die Sicherheitskontrollen geht. Immer öfter fing ich an zu weinen, aus heiterem Himmel, manchmal völlig ohne Kontrolle. Je näher der Abschied rückte, desto enger wurde der Kontakt. Die letzten 2 Monate waren mega intensiv. Ich habe oft bei ihr im Zimmer übernachtet, wir haben bewusst „Kuschelabende vor schnulzigen Filmen“ verbracht, neue Dinge zusammen ausprobiert. Nun ist es soweit. In gut 30 Stunden geht ihr Flug. Durchschlafen kann ich seit Monaten nicht mehr. Die Weinattacken wurden mehr und mehr. Sie ist die Starke und tröstet mich. Versucht mir das alles schön zu reden, was ich alles tun kann oder nicht mehr machen muss. Wie schnell die Zeit vergeht und sie doch zurück kommt. Dann fühle ich mich noch schlechter. Ich sollte doch diejenige sein, die sie tröstet, die ihr Zweifel und Ängste - die sie auch ganz sicher hat - nimmt. Sollte die Mama sein, die ich immer war, die immer alles geregelt und in Ordnung gebracht hat. Ich bin ohnmächtig. Mein Kopf sagt sich: sie wird eine tolle Zeit, so viel tolle Dinge sehen und erleben, die sie in ihr eigenes Leben mitnimmt, die so wichtig für ihre Leben sein werden, sie positiven stärken usw. Der Bauch und mein Herz sind stärker, die Gefühle der Angst vor dem Abschied, vor langen 10 Monaten, sie nicht fühlen, riechen, in den Arm nehmen zu können. An ihrem Leben teilzuhaben, mit ihr zu lachen und zu weinen, zu streiten und zu lieben, ihre Freunde zu sehen…verdrängen ohne mit der Wimper zu zucken die rationalen Argumente. Hinzukommt, dass ich meinen älterer Sohn ebenfalls, vor erst 2 Tagen, "gehen " lassen muss. Er hat sein Studium in Deutschland begonnen, wir selbst leben in Italien. Auch ihn werde ich kaum noch sehen, alles verändert sich mit einem Moment. Als ich ihn verabschiedet habe bin ich auch dem Rückweg fast zusammengebrochen. Alles erinnert mich an ihn. Ich sehe nur noch Bilder aus der Vergangenheit, fühle mich, als ob er gerade geboren wurde. In den Geschäften, schlendere ich nur in den Kinderabteilungen hin und her, schaue nach Kuscheltieren, Dingen die er liebt. Ich nehme nun seit 2 Tagen pflanzliche Beruhigungstabletten, die stundenweise die Ohnmacht der Gefühle etwas lindern. Die Koffer meiner Tochter sind gepackt. Alle Papiere ordentlich zurecht gelegt. Die Geschenke für die Gastfamilie eingepackt. Der letzte Tage geplant. Schön zusammen frühstücken (wir verbringen die letzten Tage bei meiner Mutter in Deutschland), ein letzter gemeinsamer Kinobesuch, am Abend zusammen essen gehen. Nun bin ich wieder nach knapp 3 Stunden wachgeworden, überwältig von diesem panischen Schmerz, sie in wenigen Stunden gehen zu lassen. Ich weiß, dass sie das alles locker packt, die Zeit genießen und ein tolles Jahr erleben wird. Ich weiß nicht, wie ich den Abschied am Flughafen, ja alleine schon die Fahrt dort hin, den Weg zurück und die Zeit danach bewältigen soll. Es bereitet mir schon jetzt körperliche Schmerzen, nur daran zu denken. Kurz helfen die Beruhigungsmittel, Atemübungen, doch die Ohnmacht nimmt zu. Ich lese viel in Foren, suche Trost in Erfahrungsberichten, lese, dass es mit der Zeit besser wird. Aber ich schaffe es nicht mehr, mich zu beruhigen. Dann lese ich wieder von Eltern, die es nicht schaffen, ihre Kinder loszulassen, die Rede ist von tyrannischen, egoistischen Eltern, die selbst ein Problem haben, ihre Kinder nicht lieben, sondern nur besitzen. Dann fühle ich mich noch schlechter und appelliere an mich selbst, mich nicht so blöd anzustellen. Wie soll ich das schaffen? Wie soll ich mit dem Schmerz umgehen? Hinzu die Sorge um meinen Sohn, der ganz alleine zurecht kommen muss, von dem ich nicht weiß, ob er nachts heil nach Hause gekommen ist. Mit dem Warten auf ein Lebenszeichen, einem Skypeanruf…immer im Hinterkopf, dass die Agentur davor warnt, das Kind in seiner neuen Gastfamilie/Welt wie üblich mit sms, Anrufen etc. zu bombardieren. Zu wissen, man muss warten, bis sie sich melden, auch wenn es manchmal Tage oder Wochen dauern kann. Was hatte ich für Pläne alles zu machen, wenn ich „kinderlos“ bin. Im Moment kann ich mir gar nichts vorstellen. Habe sogar Angst um meine Partnerschaft (bin geschieden, aber in neuer Beziehung), der ich alles abverlange, in dem ich mich völlig in meine Situation zurückziehe. Ich kann mich an nichts mehr erfreuen, möchte meinen Partner kaum noch sehen, kann mir nichts vorstellen, was die nächste Zeit betrifft. Kann mir nicht vorstellen, wie ich die nächsten 48 Stunden überleben soll, ohne zu kollabieren. Wieso schaffe ich es nicht, sie einfach gehen zu lassen, mich einem Lächeln, wissend, dass es die schönste Zeit in ihrem Leben werden könnte? Zusätzlich zu den Panikattacken, den physischen und psychischen Schmerzen, wird mir jetzt auch noch übel. Kein Schlaf mehr. Kann mir jemand sagen, wie ich die Zeit bis zum endgültigen Abschied überwinden kann? Ich bin für alles offen. Niemals hätte ich mir das alles so schlimm vorgestellt…dabei rede ich mir auch immer wieder ein, dass es meinen Kindern gut geht, sie gesund sind, ein tolles Leben haben, ihre Wünsche und Träume von uns ermöglicht bekommen. Wir sie doch selbst dahin erzogen haben, selbstständig und mutig zu sein. Ich weiß, dass ich sie beide loslassen muss, damit sie ihr eigenes Leben leben können. Warum schaffe ich es nicht, sie einfach gehen zu lassen. Ich werde es tun müssen, sie tun es und gehen, verfolgen ihren Weg, leben ihren Traum und ihre Wünsche. Warum ist mein Schmerz trotz allem so groß. Bin ich egoistisch???
olinda