Alles schon gesehen? Schüleraustausch im 21. Jahrhundert

Bevor es das Internet und damit die grenzenlosen Möglichkeiten zum Surfen, Chatten und Telefonieren gab, war ein Schüleraustausch etwas anders als heute. Bevor man den Schritt in ein neues Land wagte informierte man sich über das neue Zuhause, aber dafür musste man Infobroschüren, Filme oder Bücher nutzen.

Ob die Berichte dann der Wahrheit entsprechen würden, wusste man erst wenn man vor Ort war. Vielleicht sind die Informationen aber auch veraltet: Noch heute soll es Austauschschüler geben, die nach Deutschland kommen und sich nicht sicher sind ob die Berliner Mauer noch steht. Heute gilt das als schlecht vorbereitet, damals musste man sich seine aktuellen Informationen eben selbst zusammensuchen. Je nachdem wo man hingehen wollte, war das mühsam.

Ohne Facebook und Internet für ein Jahr im Ausland?

Ist man dann im Gastland angekommen, war man wirklich allein. Vor allem wer in die USA oder nach Neuseeland gegangen ist, war von seiner deutschen Heimat abgeschnitten: auf Briefe schreiben hatte man keine Lust und das Telefonieren war so teuer, dass die Eltern ihre Kinder am Liebsten nur alle paar Wochen angerufen hätten. Hatte man Heimweh oder Probleme musste man selbst damit fertig werden oder hatte seinen Betreuer vor Ort. Die Freunde aus Deutschland hat man oft gar nicht während des Austauschjahres gesprochen, denn auch Facebook & Co. gab es damals noch nicht.

Der Schüleraustausch heute: Den Kulturschock recherchieren

Heute kann man sich vor dem Schüleraustausch sehr gut und eingehend über das Gastland informieren. Im Internet gibt es nicht nur unzählige Webseiten mit Infos zum Thema Schüleraustausch, die die gängigen Fragen von angehenden Austauschschülern beantworten. Über so gut wie jedes Land findet man deutsch- und englischsprachige Webseiten, Foren in denen man sich mit ehemaligen Austauschschülern austauschen kann und auch Videos (z.B. YouTube) aus den Gastländern. Die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt, so dass man im Gastland eigentlich schon ankommen kann bevor der Flieger gelandet ist. Ähnlich erging es Ann-Kathrin (16). Die Schülerin war für zehn Monate in der Stadt Winnipeg in der Provinz Manitoba in Kanada. Fast 7000 Kilometer liegen zwischen Deutschland und dem riesigen Land Kanada. Bevor sie nach Kanada ging konnte sie mit Freunden die selbst einen Austausch gemacht hatten über das Abenteuer sprechen. Im Internet konnte sie sich über das Land mit den unbegrenzten Wäldern und Seen informieren.

„Alles war ganz neu“

Als Ann-Kathrin dann in Winnipeg ankam war natürlich alles neu für sie: die Gastfamilie, die Umgebung und die Schule. Aber einen Kulturschock hatte sie eigentlich nicht. Deutsche Schüler können oft schon relativ gut englisch sprechen, „sprachlich gab es also keine Probleme“. Ann-Kathrin versuchte ein Mal in der Woche mit ihren Eltern zu skypen – auch das wäre früher unmöglich gewesen. Heimweh kam auch nicht auf, denn die Schülerin dachte sich schlicht: „Ich bin ein Jahr da und versuche alles mitzunehmen, dann geht es ja wieder nach Hause“. In ihrem Austauschjahr hat sie die Kanadier als sehr aufgeschlossene und freundliche Menschen kennen gelernt, nach ein paar Wochen hatte sie bereits einen kleinen Freundeskreis. Ungewöhnlich fand sie es nur, dass die kanadischen Kinder ihrer Meinung nach viel früher viel erwachsener seien. „Die Gastfamilie war strenger als in Deutschland und es gab für alles Regeln“, erzählt die 16jährige, „die Kinder haben viele Projekte und sind in vielen AGs“. Der Alltag bestand aber wie in Deutschland aus Schule und Freizeit, das Straßenbild unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem anderer europäischer Städten.

Wenn man niemals im Gastland ankommt

Ihre Freizeit nach dem langen Schultag sah entspannt aus: Ann-Kathrin spielte Frisbee in der Schulmannschaft, ging ins Fitnessstudio, traf Freunde und war in und um Winnipeg unterwegs. War also im weit entfernten Kanada alles wie in Deutschland? Dann ist die Frage ob sich ein Schüleraustausch überhaupt noch lohnt? Ann-Kathrin findet, dass der kanadische Lebensstil dem amerikanischen Way of Life ähnelt. Den kennt man aus dem Fernsehen und er wird gern auch in europäischen Ländern kopiert. Unsere weltweite Vernetzung macht es möglich, dass wir Freunde auf der ganzen Welt haben und sehr gut wissen können, wie man in weit entfernten Gegenden lebt. Das macht die Welt kleiner und der Überraschungseffekt ist nicht mehr so groß, wenn man in ein fremdes Land kommt. Ann-Kathrin findet es gut, wenn man informiert in das Gastland gehen kann. So könne man sich gleich auf den Austausch konzentrieren und müsse nicht erst die ganzen neuen frischen Eindrücke verarbeiten.

Das Internet hat die Menschen zusammenrücken lassen; die Gefahr, dass man im Gastland niemals richtig ankommt weil man mit den Freunden in Deutschland den ganzen Tag über Facebook kommunizieren kann ist dabei groß. Auch Eltern können heute teilweise schwerer loslassen. Sie können ihre Kinder jederzeit über Skype oder Telefon anrufen, davon dürften die Schüler nicht sehr erfreut sein. Vor dem Austauschjahr Infos sammeln ist also gut und schön, aber ist man in dem neuen Heimatland angekommen, dann sollte man die Zeit dort auch bewusst genießen - und wirklich da sein.

Ann-kathrin F. 2011/12